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Das Pogrom der Hamas beweist, dass der Zionismus versagt hat, sagt der israelische Historiker Moshe Zimmermann

Ein Interview mit Prof. Moshe Zimmermann anlässlich seines 80. Geburtstages in der «Haaretz»
Der bahnbrechende israelische Spezialist für deutsche Geschichte, Prof. Moshe Zimmermann, blickt auf das Europa der 1930er Jahre zurück, um zu verstehen, worauf sich Israel zubewegt
Ofer Aderet, 29.12.2023

Anfang der 1960er Jahre wurde Moshe Zimmermanns Mutter vom Direktor der Jerusalemer Ma’aleh High School vorgeladen, um zu erklären, warum ihr Junge, der ein guter Schüler war, in der Schule das Bild eines Mannes in SS-Uniform auf einen Tisch gemalt hatte. Die Tatsache, dass sowohl der Schulleiter als auch die Mutter stolze Jekkes waren – Juden deutscher Herkunft -, trug zweifellos zur beidseitigen Verlegenheit bei. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Moshes Vater Direktor der benachbarten Grundschule war.

“Meine arme Mutter musste erklären, was ihrem Augapfel da eingefallen war”, erzählt Zimmermann in einem Interview anlässlich seines achtzigsten Geburtstags. Aus dem Abstand der Jahre weiß er, dass der Hintergrund des Vorfalls das bahnbrechende historische Ereignis war, das sich damals in Israel abspielte: der Prozess gegen Adolf Eichmann. “Ich war von dieser Geschichte gefesselt, und von diesem Augenblick an war mir klar, dass ich Historiker werden wollte. Als ein in einem Jekkes-Haushalt aufgewachsenes Kind war mir auch klar, dass ich mich mit dem Rätsel Deutschland beschäftigen sollte und wollte.”

In den Jahrzehnten seither wurde Zimmermann zu einem Pionier und wichtigen Gestalter der Deutschlandforschung in Israel. Heute ist er emeritierter Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem und ehemaliger Direktor des Richard-Koebner-Minerva-Zentrums für deutsche Geschichte. Er hat Dutzende Bücher und Artikel über die deutschen Juden und ihre komplizierte und tragische Beziehung zu ihrem Heimatland geschrieben und herausgegeben und bewiesen, dass man Geschichte aus dem Sport und dem Kino erkunden kann. Im Gegensatz zu manchen seiner akademischen Kolleg*innen pflegt Zimmermann aber auch sein Image als öffentlicher Intellektueller, der sich nicht scheut, sich pointiert und scharfsinnig zu aktuellen Ereignissen zu äußern und dabei auf seine Erkenntnisse als Historiker zurückzugreifen. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere fand er sich mehrfach in Gerichtssälen wieder, um Klagen abzuwehren, die wegen seiner Äußerungen gegen ihn angestrengt wurden.

“Ein Historiker soll zum Nachdenken anregen”, sagte er diesen Monat auf einer ihm zu Ehren veranstalteten Konferenz am Leo-Baeck-Institut in Jerusalem. “Ein Historiker, der darauf besteht, neutral zu sein, eine Person der Fußnoten, und nicht provoziert, erweist dem Berufsstand einen schlechten Dienst.”

“Wenn ich an Deutschland und an deutsche Historiker denke, die sich ständig hinter der ‘Neutralität’ und ‘Objektivität’ der Geschichte versteckten, weiß ich, wohin das führt”, sagt er. “Diejenigen, die farblos sind, die weder hier noch dort sind, kollaborieren am Ende mit dem, was existiert. Eine Chronik zu schreiben ist langweilig. Es ist sinnlos, zu erzählen, was zum Beispiel in Troja passiert ist, nur um eine Geschichte zu erzählen. Ein Historiker muss aus der Vergangenheit auf die Gegenwart schließen”.

Viele Menschen vergleichen den 7. Oktober mit dem Holocaust. Sie nennen die Hamas “Nazis” und sehen das Pogrom, das im Südens Israels verübt wurde, als moderne Parallele zu den von den Nazis verübten Pogromen.

“Was am 7. Oktober geschah, ähnelt sehr den Pogromen, die nicht nur während des Zweiten Weltkriegs gegen Juden verübt wurden, und nicht nur von deutschen Nazis, sondern auch von ‘guten’ Litauer*innen, Pol*innen und Ukrainer*innen. Als Historiker ist es für mich wichtig, nicht zu sagen: “Hier gab es ein Pogrom”, sondern daraus die Konsequenzen für die zionistische Bewegung abzuleiten. In dem Moment, in dem ein Pogrom gegen Juden und Jüdinnen im jüdischen Staat, dem zionistischen Staat, stattfindet, bezeugen sowohl der Staat als auch der Zionismus ihr eigenes Scheitern. Denn die Idee, die der Gründung eines zionistischen Staates zugrunde lag, bestand darin, eine Situation zu verhindern, wie sie Jüdinnen und Juden in der Diaspora vorfinden...

Hier das Interview auf Deutsch