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BIP-Aktuell #262: Die Nakba aus einer jüdisch-israelischen Perspektive

Der Geist der Nakba – eine persönliche Betrachtung von Shir Hever

Das vorliegende BIP Aktuell 262 ist in Form und Umfang ungewöhnlich. Nachdem wir in diesem Jahr monatlich über die historischen Ereignisse in den Jahren 1947/48 informiert haben, hat sich die Redaktion entschlossen, einen Vortrag von Dr. Shir Hever zu veröffentlichen, den der Autor am 24.5.2023 in Bonn gehalten hat. Er analysiert die Bedeutung der Nakba für Palästinenser, Israelis und Deutsche im Zusammenhang mit seinen persönlichen Erfahrungen.

Die Geschichte der Nakba ist nicht meine Geschichte. Ich bin kein Palästinenser, ich habe diese Schrecken nicht erlebt. Ich bin in Israel, in Jerusalem, aufgewachsen und habe die Nakba erst in einem langsamen Prozess kennengelernt, der mich viel mehr über die israelische Gesellschaft und ihre Fähigkeit, Geschichte zu verdrängen gelehrt hat als über die palästinensische Geschichte. Darüber werde ich hier schreiben.
 
Als ich in Jerusalem aufwuchs, habe ich das Wort Nakba nicht ein einziges Mal gehört. Ich bin in einer linken, kritischen Familie aufgewachsen, und meine Eltern haben die Frage diskutiert, ob die palästinensischen Flüchtlinge 1948 aus eigenem Antrieb geflohen sind oder ob sie gewaltsam deportiert wurden.

Meine Großmutter väterlicherseits erzählte mir einmal, dass sie und ihre Familie zu Beginn des Zweiten Weltkriegs aus Polen fliehen mussten, aber nach dem Krieg konnten sie nach Polen zurückkehren und ihre Pässe und ihren Besitz zurückerhalten. Sie sagte: “Ich verstehe nicht, warum wir zurückkehren durften, aber die palästinensischen Flüchtlinge nicht.” Für die Israelis meiner Generation ist die Behauptung, dass die Palästinenser:innen geflohen sind und nicht vertrieben wurden, häufig eine Rechtfertigung dafür, ihnen die Rückkehr zu verweigern.
 
In den 1990er Jahren gab es den Osloer Friedensprozess, und viele Israelis dachten, dass der Frieden erreicht wird, wenn nur eine Grenze gezogen wird. Die Palästinenser:innen würden in ihrem eigenen kleinen Staat leben, und es wird keinen Grund mehr für einen Kampf geben. Wenigen Israelis war bewusst, dass zwei Drittel der Palästinenser:innen im Gazastreifen Flüchtlinge sind, deren Eltern oder Großeltern aus Städten und Dörfern stammen, die im Krieg von 1948 von den israelischen Streitkräften zerstört wurden. Für diese sind eine Grenze und ein Staat natürlich nicht das Ende des Unrechts.

Samstags ging meine Familie gerne in den Jerusalemer Wald, der rund um das Museum Yad Vashem wächst. Als Kind dachte ich, es sei ein natürliches Phänomen, dass der Wald auf Stufen wächst, denn es gibt keine Schilder, die erklären, dass es sich dabei um Terrassen der palästinensischen Landwirtschaft in dem zerstörten palästinensischen Dorf Deir Jassin handelt. Das Massaker von Deir Yassin, eines der schrecklichsten Ereignisse der Nakba, wird totgeschwiegen, das Massengrab der Opfer ist nicht gekennzeichnet…

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