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Warum ich das Wort “Antisemitismus” boykottiere – Artikel von Jason Oberman

Antijüdischer Rassismus in Deutschland
(published in English here)

Auf einer Demonstration gegen den anhaltenden Völkermord und die Besetzung Palästinas habe ich zum ersten Mal tief in meinem Inneren gespürt, was es für mich bedeutet, Jude zu sein: entschlossen für Gerechtigkeit für alle aufzutreten und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Ich fühlte nicht nur eine tiefe Verbundenheit mit mir selbst und meiner persönlichen Geschichte, sondern auch so viel Liebe für die Palästinenser:innen und Liebe von ihnen und den vielen Menschen, die sich solidarisch zeigten. In den Monaten nach dem 7. Oktober traf ich so viele Juden wie seit vielen Jahren nicht mehr, und es war das erste Mal, dass ich so viele jüdische Menschen sah, die ihr Judentum in der Öffentlichkeit stolz zur Schau stellten, neu definierten und sogar feierten. Obwohl wir in einer herzlichen und vielfältigen Gemeinschaft eine neue jüdische Identität gefunden hatten, wurden wir von den deutschen Medien, der Regierung und den Sicherheitskräften als “Antisemit:innen” verunglimpft. Und die Verleihung dieses Etiketts hatte Konsequenzen.

Ich erlebte und erfuhr, wie jüdische Mitbürger:innen und Verbündete verhaftet wurden, oft brutal, und wie sie wegen Anstiftung zu Hass, zu “antisemitischem” Hass, angeklagt wurden. Schilder mit der Aufschrift “Vom Fluss zum Meer”, “Vom Fluss aus sehen wir nichts als Gleichheit”, “Als Jude und Israeli: Stoppt den Völkermord in Gaza” oder “Noch ein Jude für ein freies Palästina”, ebenso wie ein Davidstern mit den palästinensischen Farben, konnten Verhaftungen und manchmal sogar Schläge nach sich ziehen. Kürzlich wurde ein jüdischer israelischer Aktivist, Historiker und Wissenschaftler, also eine sachkundige Quelle zum Thema “Antisemitismus”, verhaftet und angeklagt, weil er den Präsidenten der Freien Universität auf einer Demonstration als “Antisemit” bezeichnet hatte. Sehr viele Fälle sind bekannt geworden, in denen Palästinenser:innen und People of Color brutal angegriffen und verhaftet wurden, oft bei Veranstaltungen, die von jüdischen Organisationen mitorganisiert oder ausschließlich von ihnen organisiert wurden.

Ich war zwar etwas überrascht über die Auslegung des Begriffs “Antisemitismus” durch die Berliner Polizei, aber wie sich herausstellt, gehört die deutsche Polizei zu den weltweit besten Experten auf diesem Gebiet. Ich fand heraus, dass dem Polizeiforscher Dr. Sven Deppisch zufolge die Ordnungspolizei allein, also die reguläre uniformierte Polizei, für mehr als zwei Drittel der jüdischen Opfer des Holocausts verantwortlich war und bis zum Ende der Shoah eine Million Menschen direkt mit ihren eigenen Händen tötete. Ganz abgesehen davon, dass die Entnazifizierung auf schreckliche und tragische Weise gescheitert ist (die überwiegende Mehrheit der polizeilichen Kriegsverbrecher und Massenmörder kam nach dem Zweiten Weltkrieg praktisch ungeschoren davon und einige behielten sogar hochrangige Positionen), gab es in jüngster Zeit auch eine Reihe von Fällen, in denen neonazistische Terrornetzwerke innerhalb der heutigen Polizeikräfte aufgedeckt wurden. Dazu später mehr.

Deutsche Universitäten und Medien haben in letzter Zeit auch eine ganze Menge von “antisemitischen” Studierenden aufgedeckt, darunter eine Reihe jüdischer Antisemit:innen. Kürzlich veröffentlichte die Universität der Künste eine Erklärung von Lehrkräften und Mitarbeiter:innen, in der mehrere “gewalttätige antisemitische” Proteste und Aktionen auf dem Campus verurteilt wurden, die der Solidarität mit Palästina gewidmet waren. Meines Wissens waren diese Demonstrationen gewaltfrei, und es gab Juden und Jüdinnen, die dort sprachen und an der Organisation der Veranstaltungen beteiligt waren. Hier ist ein Ausschnitt einer “antisemitischen” Jüdin, die bei einer in der obigen Erklärung verurteilten Demonstration spricht. Darüber hinaus hat die Freie Universität Berlin im Dezember 2023 über 100 Polizeibeamte angefordert, um eine Gruppe “antisemitischer” Studierender, darunter auch Juden und Jüdinnen, die an einer gewaltfreien Aktion teilnahmen, zu entfernen. Ab diesem Tag gab es in den sozialen Medien einen Trend zur Verwendung des Hashtags #exmatrikulation, der leider zu einer realen juristischen Aktion führte: Um die Universitäten von ‘Antisemit:innen’ zu säubern, kündigte der Berliner Senat auf beunruhigende Weise an, die Exmatrikulation schnell wieder einführen zu wollen, ein Mittel, das im Dritten Reich unter verschiedenen Dekreten und Deckmänteln eingesetzt wurde, um politisch Andersdenkende und „Nichtarier:innen“ an der Universität zu unterdrücken und zu vertreiben. Die Abstimmung findet am 26. März 2024 statt.

Auch die deutschen Medien haben ‘antisemitische’ jüdische Studierende ausgemacht, die gegen den Völkermord Stellung bezogen. So hat beispielsweise Der Spiegel kürzlich einen jüdischen Aktivisten des Antisemitismus bezichtigt, was irgendwie mit einer raffinierten Kritik an seiner Transgender-Identität erklärt wurde. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, veröffentlichte kürzlich einen Artikel, in dem er “antisemitische” Studierende, einschließlich Juden und Jüdinnen, verurteilte (zusammen mit der postkolonialen Theorie und “Antisemitismus unter Muslimen”). Unter dem Titel des Artikels, “Hierarchien des Hasses”, findet sich ein Bild, das Mitglieder der jüdischen Organisation „Jüdische Stimme“ zeigt…

Hier der vollständige Beitrag – Jüdische Stimme – 25. 03. 2024