Michael Barenboim über Kulturboykott„Es geht um Mitschuld“
Der Musiker Michael Barenboim wirft Israel einen Genozid vor und ruft zur Gaza-Demo auf. Ein Gespräch über Verantwortung, Schweigen – und rote Linien in der Kunst.
taz: Herr Barenboim, der israelische Dirigent Lahav Shani wurde jüngst von einem Musikfestival im belgischen Gent ausgeladen. Ihm wurde vorgeworfen, seine Haltung zur israelischen Regierung sei unklar. Wie bewerten Sie das als Musikerkollege?
Michael Barenboim: Ich habe mir die jeweiligen Statements angeschaut. Das sollte man immer tun. Das Festival hat die Absage damit begründet, dass sich Shani in seiner Funktion als Chef des Israel Philharmonic Orchestra nicht oder nicht genügend von der israelischen Regierung distanziert hat. Das ist so etwas wie ein Staatsorchester, auch wenn es formal eine gemeinnützige Organisation ist – es repräsentiert Israel und bekommt auch staatliche Zuschüsse.
Lahav Shani hat darauf geantwortet, er trete für Versöhnung zwischen „beiden Seiten“ ein. Er hat in seinem Statement die Seite, die in Gaza gerade vor ihrer Auslöschung steht, die Palästinenser, aber mit keinem Wort erwähnt. Das ist eine vertane Chance, denn damit hat er dem Festival alle Argumente für seine Ausladung geliefert. Das ist sehr schade. Denn er ist ein fantastischer Musiker – ich habe früher auch schon mit ihm gespielt. Aber darum geht es hier nicht.
taz: Worum geht es denn? Bundeskanzler Friedrich Merz, Kulturstaatsminister Wolfram Weimer und andere sprechen bei der Ausladung von Antisemitismus.
Barenboim: Entweder, sie haben alle das Statement des Festivals nicht gelesen, oder sie haben es absichtlich missverstanden. Da steht ja ganz deutlich, dass das nichts mit seiner jüdischen Identität zu tun hat. Das hätte auch seinen Vorgänger beim Israel Philharmonic Orchestra treffen können, Zubin Mehta – der ist nicht jüdisch. Das heißt, es hat mit Antisemitismus nichts zu tun, sondern mit dem Vorwurf der Mitschuld am Genozid…
Das Interview in Gänze – taz (Daniel Bax) – 27.09.2025

