„Grundrechte werden ausgehebelt“
Die seit einem Jahr im Bundestag hinter verschlossenen Türen diskutierte Antisemitismusresolution zum »Schutz jüdischen Lebens« wurde im November verabschiedet. Von Amnesty International bis hin zu jüdischen Organisationen kam heftige Kritik. Die Resolution will höchst repressive Richtlinien für die Fördervergabe in Kultur und Wissenschaft sowie fatale Einschnitte ins Aufenthalts- und Asylrecht umsetzen. Occupied News hat mit der Anwältin Nadja Samour, welche auf Völkerstrafrecht spezialisiert und u.a. als Rechtsberaterin für das European Legal Support Center tätig ist, gesprochen.
Occupied News (ON): Die Bundestagesresolution »Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken«, wurde am 7. November 2024 im Bundestag mit der Mehrheit der Stimmen von SPD, FDP, Union, Bündnis 90/Die Grünen und AfD verabschiedet. Jüdisches Leben zu schützen klingt ja positiv und unterstützenswert, vor allem vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte. Dennoch gab es heftige Kritik, u.a. durch Amnesty International, aber auch jüdische Organisationen, was auf den ersten Blick überraschend erscheint. Worum geht es in der Resolution überhaupt?
Nadja Samour: Die Bundestagesresolution wird ihrem Titel nicht gerecht. Sie gibt vor, Jüdinnen und Juden schützen zu wollen. De facto stellt sie aber Antizionismus mit Antisemitismus und Israel mit Judentum gleich. Dadurch entsteht eine gefährliche Gleichsetzung zwischen einem Staat und einzelnen Menschen einer diversen Religionsgemeinschaft. Außerdem liegt ihr die umstrittene IHRA-Definition zu Grunde, die jede Form der Israelkritik pauschal und unsachlich als Antisemitismus abtut.
Die Resolution dient also kaum dem Schutz jüdischen Lebens, sondern der Repression. Alles, was israelkritisch oder antizionistisch ist, soll mit ihr als antisemitisch gebrandmarkt werden, Fördergelder und öffentliche Räume verlieren, überwacht und gegebenenfalls verboten werden. Das betrifft auch die Kunst und die Wissenschaften, also Bereiche, die eigentlich vom Staat und den herrschenden Verhältnissen frei, ja beides auch kritisieren können sollen. Wir reden hier also von einem starken Eingriff in die demokratisch verankerten Grundrechte, und das ist es auch, was u.a. Amnesty International kritisiert.
ON: Ist diese Resolution denn rechtlich bindend? Und welche Auswirkungen hat sie schon jetzt auf den Kultur- und Wissenschaftsbetrieb?
Samour: Eine Resolution ist rechtlich nicht bindend und gilt eher als eine Meinungsäußerung des Parlaments. Man könnte sie als einen symbolischen Akt sehen und ignorieren. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass eine Resolution in der Praxis häufig wie ein rechtlich bindendes Gesetz behandelt wird.
Schon 2019 hatte der Bundestag eine äußerst repressive Resolution gegen BDS [Boycott, Divest, Sanction – eine zivilgesellschaftliche Kampagne für die Beendung von israelischer Besatzung und Apartheid] beschlossen. Sie hatte massive Auswirkungen, angefangen von der Meinungsfreiheit bis hin zur Reisefreiheit einzelner Personen. Öffentliche Veranstaltungen, auch ohne direkten Bezug zu BDS, wurden die Räume gekündigt, Hetzkampagnen gegen einzelne Personen gestartet oder Preisvergaben an Autorinnen und Autoren zurückgezogen. Dabei standen diese Personen oft nicht einmal selbst in unmittelbarem Zusammenhang zu BDS. Die jetzige Resolution geht noch weiter und bedroht womöglich den Aufenthaltsstatus vieler Geflüchteter und Migrantinnen und Migranten in Deutschland…
Hier der vollständige Beitrag – Occupied News – 04.12.2024