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Menschenrechtsanwalt über Krieg in Gaza „Nur in den Grenzen des Rechts“

Wolfgang Kaleck fordert den internationalen Strafgerichtshof auf, gegen Israel und Hamas zu ermitteln. Er erinnert an Fehler nach dem 11. September.

taz: Herr Kaleck, in Gaza herrscht seit fünf Wochen Krieg, und sowohl Israels Armee als auch der Hamas werden Kriegsverbrechen vorgeworfen. Sollte der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag diesen Vorwürfen nachgehen?

Wolfgang Kaleck: Das fordern zahlreiche hochrangige Juristen weltweit, und wir schließen uns dieser Forderung an.

Was würde das bringen?

Strafjustiz ist immer reaktiv, kommt zu spät und kann meist nur einen Teil der Vorwürfe aufarbeiten. Nichtsdestotrotz ist es sehr wichtig, ihnen schon früh nachzugehen. Das hilft, die Debatte zu versachlichen, und macht klar, dass es auch in bewaffneten Konflikten Grenzen gibt. Wenn internationale Instanzen das feststellen und Strafverfahren einleiten, dann kann das einen eindämmenden oder sogar präventiven Effekt haben.

Welche Befugnisse hat der Gerichtshof im konkreten Fall?

Die Palästinensische Autonomiebehörde hat sich 2015 seiner Gerichtsbarkeit unterworfen, und eine Kammer des Gerichts hat 2021 festgestellt, dass er Völkerstraftaten in Palästina von allen Parteien sowie solche von palästinensischen Tätern in Israel verfolgen kann. Seitdem hätte sein aktueller Chefankläger Karim Khan die Möglichkeit, umfassend zu ermitteln. Bisher ist das aber nicht passiert.

Warum nicht?

Das hat unter anderem mit fehlenden Ressourcen und Priorisierung zu tun hat. Ohne sie kann in einem so komplexen Feld nicht auf professionellem Niveau ermittelt werden.

Nach Russlands Angriff auf die Ukraine wurde schnell reagiert, und dem Gerichtshof wurden rasch entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt. Jetzt nicht?

Nein. Aber wenn der Strafgerichtshof nur aktiv wird, wenn der Westen dahintersteht und das finanziell unterstützt, untergräbt das seine Glaubwürdigkeit. Er muss Straftaten, die unter sein Statut fallen, nachgehen – unabhängig davon, ob die Verdächtigen einem westlichen oder mit diesem befreundeten Staat angehören oder nicht. Viele Teile der Welt werfen Institutionen wie dem Gerichtshof Doppelstandards vor. Deswegen ist es so wichtig, auf universelle Prinzipien zu bestehen, auch gegen nichtstaatliche Akteure. Und das bedeutet nicht, Unterschiede zwischen einzelnen Fällen zu leugnen…

Vollständiges Interview – taz – 12.11.2023