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Zensur in Donaueschingen

Wieland Hoban (Komponist und Übersetzer) und seine Erfahrung mit dem künstlerischen Leiter  der Donaueschinger Musiktage Björn Gottstein:

Die Donaueschinger Musiktage gelten seit Jahrzehnten als Ort nicht nur für neue Klänge, sondern auch für neue Denkanstöße und Diskurse, durchaus auch kontroverse. Ob es nun um Weltpolitik oder Kulturpolitik geht, um Globalisierung oder um Gleichberechtigung im Musikbetrieb, es herrschen in der Regel keine thematischen Tabus. 

Zumindest nicht in der Vergangenheit. Denn ich musste vor kurzem feststellen, dass es offenbar doch inhaltliche Einschränkungen gibt. Ich erzählte dem künstlerischen Leiter der Musiktage, Björn Gottstein, von meinen Ideen zu einem eventuellen Orchesterstück und fragte, ob er daran interessiert wäre. Neben klanglichen Aspekten erklärte ich auch, dass ich das Stück als Teil meines Zyklus über den Gaza-Streifen geplant hatte, der sich konkret auf den dreiwöchigen Militärangriff Israels zwischen Dezember 2008 und Januar 2009 bezieht und dokumentarisches Material verwendet, nämlich die Aussage eines israelischen Soldaten, der an dem Angriff beteiligt war. Nach einiger Überlegungszeit teilte er mir am 16. Juli schließlich mit, er wolle lieber anderen Komponisten eine Chance geben, da ich bereits 2016 im Programm vertreten war. Dieser Aspekt war mir durchaus bewusst, und ich nahm die Erklärung mit Verständnis hin. Allerdings fand mein Verständnis ein jähes Ende, als ich weiterlas: Er vermittelte mir auf unmissverständliche Weise, dass er Komponist*innen zwar Freiheit bei der Behandlung politischer Stoffe lasse, aber keine Kritik an Israel toleriere und entsprechend die Aufnahme eines jeden Stücks verhindern würde, das eine solche Kritik beinhaltete. (Herr Gottstein hat ausdrücklich die Genehmigung verweigert, seine Aussage im Wortlaut zu veröffentlichen.)

Diese Sätze stammen zwar aus einer privaten Nachricht, stellen aber eine eindeutige Formulierung einer kulturpolitischen Linie für ein staatlich gefördertes Festival dar. Auf meine sofortige Antwort hat Herr Gottstein nicht reagiert, und er bekräftigte sogar seine Aussage während einer persönlichen Begegnung am 18. Juli.

EDIT: Am 16. August, wenige Tage nach der Veröffentlichung dieses Briefs, kam diese offizielle Stellungnahme:

Ich stehe zu dieser Haltung nicht nur als Privatperson, sondern auch als Künstlerischer Leiter der Donaueschinger Musiktage. Die Donaueschinger Musiktage sind ein Teil des deutschen Kulturlebens. Deutschland hat aufgrund seiner Geschichte Israel gegenüber eine besondere Verpflichtung. Aufgrund dieser Geschichte ist offener Antisemitismus in Deutschland in weiten Gesellschaftsteilen sozial geächtet. Daher wird Antisemitismus häufig über Kritik an Israel kommuniziert. Israelbezogener Antisemitismus ist die aktuell gängigste Form des Antisemitismus – auch in Deutschland. Daher würde ich es für ein fatales Signal halten, wenn bei den Donaueschinger Musiktagen ausgerechnet Israel als einziger Staat in einem Musikstück massiv kritisiert wird. Zudem ist der Komponist in der Vergangenheit schon als Unterstützer von Aufrufen in Erscheinung getreten, die zum kulturellen Boykott Israels aufrufen und den Staat Israel als Apartheitsstaat delegitimiert. Solche Positionierungen sind für mich und den SWR inakzeptabel. Ich möchte den Antisemitismus in Deutschland in keiner Weise bestärken.

Dass Kritik am Staat Israel in Deutschland für viele immer noch ein sehr unbequemes Thema ist, und dass die Last der vergangenen deutschen Verbrechen häufig zur Ansicht führt, das Anprangern gegenwärtiger Vergehen sei im Falle Israels nicht angebracht, zumindest nicht in Deutschland – all das ist nicht neu. Es ist auch nicht neu, dass in der Kultur politischer Druck ausgeübt wird, um das Thema fernzuhalten, wie es jüngst im Fall der Ruhrtriennale deutlich wurde. Aber ich halte es für inakzeptabel, dass eine öffentliche Debatte durch Zensur verhindert wird, zu welchem Thema auch immer. Als Angestellter einer öffentlichen Rundfunkanstalt sollte Herr Gottstein nicht in der Lage sein, aus persönlicher Überzeugung die Behandlung eines Themas zu verhindern. Natürlich können Intendant*innen entscheiden, welche Projekte sie für sinnvoll oder interessant halten. Aber hier geht es nicht um ein bestimmtes Projekt, nicht um eine bestimmte Person, denn Gottsteins Worte sind ein absolutes Verbot für alle Komponist*innen, die etwas zu diesem Thema zu sagen hätten. Ich und die unten angeführten Kolleg*innen sind der Ansicht, dass dies nicht hingenommen werden darf. Wir glauben, die Kunst müsse ein Forum für freien Gedankenaustausch sein und lehnen jede Form von Zensur ab.

Wieland Hoban
Komponist und Übersetzer

Hier der offene Brief mit den Unterzeichner*innen
The open letter in English: Censorship in Donaueschingen
Statement of solidarity by Boycott from within: Israeli Citizens to Donaueschingen Music Festival Director, Björn Gottstein: Don’t Silence Voices for Palestine in Our Name / Deutsche Übersetzung: Offener Brief von „call from Within“ an Leiter der Donaueschinger Musiktage