Kommentar: Zwischen Windhoek und Gaza
Deutschlands Erinnerungskultur ist auf Abwegen unterwegs. Das hat fatale Konsequenzen.
Wenn Deutschland mit dem Völkermord an Juden und Jüdinnen die Unterstützung einer Kriegsführung begründen kann, die große Teile der Welt als Genozid betrachten, ist auf wenig mehr Verlass. Die humanistische Substanz der offiziellen Erinnerungskultur erweist sich als erschreckend dünn – und damit ist auch die Annahme erschüttert, das Gedenken an die NS-Verbrechen werde helfen, künftigem Faschismus und Autoritarismus vorzubeugen. Stattdessen sind wir mit einer repressiven Staatsraison konfrontiert, die das Autoritäre ethisch verkleidet.
Noch lässt sich der Umfang der moralischen und intellektuellen Krise, die mit all dem einhergeht, kaum ermessen. In Deutschland durchziehen die Einwanderungsgesellschaft neue Gravuren von Spaltung und Entfremdung, seit aus Erinnerungsarbeit ein Bumerang zur Stigmatisierung von Minderheiten wird. In globaler Hinsicht formuliert der italienische Historiker Enzo Traverso das Ausmaß der Krise so: „Wie kann die Erinnerung an die Shoah überhaupt noch verteidigt werden, nachdem mit ihr ein Genozid legitimiert wurde?“ Das Holocaust-Gedenken laufe Gefahr, bloß noch als eine Waffe westlicher Dominanz zu gelten, so Traverso in seinem kommenden Buch „Gaza devant l’histoire“…
Vollständiger Kommentar – medico international – 21.08.2024